Leben und Sterben mit ALS

Ich brauchte einen Moment um zu verstehen und annehmen zu können. Es waren 3 sehr intensive Wochen, welche mich viel über das Leben gelernt haben.

 

Mötzi, meine "Heilige Birma" kam zu mir, als sie knapp einen Tag alt war. Die Mamakatze wollte das kleine Katzenkind nicht annehmen. Als die Züchterin mich vor 10 Jahren angerufen hat und meinte: Sandra, kannst du bitte das Welpen holen? Ich habe keine Zeit es gross zu ziehen - war ich ziemlich ratlos. Viele Fragen stellten sich. Ist ein so kleines Seelchen überhaupt lebensfähig? Warum nimmt die Mama sie nicht an. Kann ich es überhaupt schaffen, das kleine Wesen gross zu ziehen oder stirbt es mir weg. Könnte ich dies verkraften? Ich habe schon so manchen jungen Seelchen ein neues Leben geschenkt. Aber ein Welpen, dass gerade erst das Licht der Welt erblickt hat? Ist diese Herausforderung nicht ZU GROSS für mich? Fragen über Fragen....

 

So habe ich meinen Tierarzt angerufen und ihm die Geschicht erzählt. Seine Antwort ist mir noch so präsent, als wäre es gestern gewesen: Sandra, wenn das jemand packt dann bist du das. Mit einem Lammfell und einer Wärmeflasche bepackt, bin ich ins Auto gestiegen und losgefahren. 

 

Da stand ich nun mit einem kleinen Fellchen in der Hand. Von einer Katze war noch nicht viel zu sehen:-) wir haben es noch ein paar Mal versucht, das Fellchen der Mama schmackhaft zu machen. Leider ohne Erfolg. Sie wollte es einfach nicht. Ich war traurig. Die Frage nach dem Warum stellte sich natürlich wieder. Aber ja, es brachte nichts. So nahm ich das Häufchen Leben mit nach Hause. Aufzuchtsmilch, diverse Schoppen, Spritzen, Fenchelpulver - für alles war gesorgt. Da sass ich nun. Mit diesem Häufchen Leben in der Hand. Ehrlich gesagt war ich zu diesem Zeitpunkt ziemlich überfordert. Das kleine Ding - diese Bezeichnungen sind übrigens nicht wertend - brauchte ja 24 Stunden Körperwärme. Den Herzschlag muss es spüren. Hmm, da blieb mir nichts anderes übrig, als das kleine Ding zwischen meine Brüste zu nehmen. Ja, ich weiss. Diese Vorstellung ist vielleicht nicht ganz normal. Aber ich habe nie behauptet, dass ich normal bin. Jetzt könnten wie über die Frage: "Was ist normal?" diskutieren. Konzentrieren wir uns lieber auf das Wesentliche:-)

 

Mötzi hat es an diesem Platz sehr gefallen und ich hatte beide Hände frei um mein restliches Leben im Griff zu haben. Alles Gut soweit:-)

 

Das kleine Ding hatte einen riesen grossen Appetit. Anfangs bekam Mötzi alle 30 Minuten einwenig Milch. Ich realisierte erst jetzt, was das kleine Wesen in ihrem kurzen Leben verpasst hat. In der Zeit, in der ich mich auch einwenig hinlegte, habe ich Mötzi in einen Wäschekorb eingebettet, direkt neben meinem Bett. So habe ich keinen Moment verpasst, wenn die Kleine etwas wollte. Die erste Phase hatten wir gut überstanden.

 

Ich bin ja der festen Überzeugung, dass jede Samtpfote, welche meinen Weg kreuzte, mir etwas fürs Leben auf den Weg mit gibt. An dem hat sich in den letzten 25 Jahren auch nichts geändert. Mein Leben war zu diesem Zeitpunkt recht intensiv und ich hatte kaum die Gelegenheit zur Ruhe zu kommen. Dann kam Mötzi. Ich musste natürlich Ferien nehmen, damit ich die Kleine 24 Stunden betreuen konnte. Und ich musste zu Hause verweilen. das war gut. Ich kümmerte mich um das kleine Wesen und kam zur Ruhe. Meine eigene Gruppe hat die Kleine sofort aufgenommen. Was mich sehr erstaunt hat. Der Älteste - mein Büsi "Fründ", zeigte der Kleinen ganz gut, was sie darf und was nicht. Anfänglich hat er sich zu ihr gelegt und ihr Wärme gespendet. "Fründ" war mit seinen 20 Jahren eine alte und weise Seele. Mötzi durfte viel von ihm lernen. Die ersten Wochen waren hart. Es verging kein Tag an dem ich mir keine Sorgen um das kleine Ding machte. Aber Mötzi war eine Kämpferin. Und sie nahm an Gewicht und Grösse zu. Meine Beziehung zu Mötzi - unbeschreiblich tief und wunderschön. Sie war ein ganz besonderes Wesen.

 

Als Mötzi dann langsam grösser wurde - sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Namen - wurde sie frech. Im Vergleich zu ihrem Körpergewicht - sehr frech. Ich staunte oft über ihren Lebenswillen. Kam die Milch etwas verspätet und das kleine Ding sass im Wäschekorb zwischen ihrem Lammfell, miaute sie so kläglich und laut, dass ich mich oft sehr beeilen musste, mit der Milchzubereitung. So bekam das kleine Ding den Namen: MÖTZI :-)

 

10 wunderschöne Jahre durften Mötzi und ich den Lebensweg teilen. Viele Hochs und leider auch Tiefs. Aber wir haben immer alles zusammen gemeistert und Mötzi hat mir immer wieder gezeigt, was es heisst nach einem Schicksalsschlag wieder aufzustehen. Ich glaube den Spruch: Aufrichten, Krönchen richten und weitergehen, könnte man meiner kleinen Mötzi widmen. Sie war eine willensstarke, kleine Prinzessin.

 

Der 19. September 2019 werde ich wohl nie vergessen. Mötzi lief an mir vorbei und torkelte auf den Hinterbeinen. Ich hab mir keine grossen Gedanken darüber gemacht. Mötzi lief oft einwenig komisch. Aber es war stets alles in Ordnung. Dann fand ich die Tage darauf Urinausscheidungen auf dem Boden. Konnte es nicht zuordnen. Dachte Rafael war vielleicht einwenig aufgeregt. Am nächsten Tag habe ich einen Termin beim Tierarzt gemacht. Mötzi war fit, hat gut gefressen und war aufmeksam.

 

Samstag, der schwarze Tag.

 

Diagnose Hirnhautentzündung oder ALS. Ich habe es unterlassen ein MRI zu machen. Das wollte ich Mötzi nicht zumuten. So hielten wir an der Hirnhautentzündung fest. Hirnhautentzündung ist heilbar. ALS nicht. Wir haben einen neuen Termin abgemacht und Mötzi kam wieder mit nach Hause. Am Montag ging es ihr sichtlich besser. Sie ging sogar wieder auf die Pipibox. Die Medikamente haben angeschlagen. Dachte ich.....

 

Die kommenden 3 Wochen waren sehr hart und traurig für meine Mötzi, meine Samtpfoten und mich. Mein ganzes Leben ist in diesen 3 Wochen stehen geblieben. Ich habe mich nur noch zu Hause aufgehalten. Erfüllte Mötzi jeden Wunsch. Ging bei schönen Wetter mit ihr in den Garten. Sie hat das so genossen. An der Sonne zu liegen und gesund werden. Ich steckte persönlich viel zurück. Einige von meinen Menschen in meinen Umfeld konnten dies leider nicht verstehen. Für mich stimmte es jedoch. So habe ich wieder etwas Wichtiges gelernt in meinem Leben. Alle meine Samtpfoten haben Mötzi in den letzte 3 Wochen begleitet. Wir waren alle für sie da. Mein Jüngster - Cheveyo - liess Mötzi keinen Moment aus den Augen. Schlief bei ihr. Er hat Mötzi noch so viel Liebe geschenkt. Ich nenne es jetzt mal Karma. Cheveyo hat so viel Liebe und Zuneigung von meinen Samtpfoten gekriegt, als er zu uns kam. So schenkte er Mötzi all seine Liebe und Zuneigung. Leider kamen wieder schlechte Tage und ich dachte jetzt muss ich Mötzi loslassen. Dann folgten wieder gute Tage. Ich habe gelernt Leid zu ertragen. Wenn es Mötzi schlecht ging, dachte ich an die guten Tage und lernte so, mit der Krankheit umzugehen. Leider merkte ich nicht, dass es nach jedem "Schub" schlechter wurde. Aber Mötzi erholte sich wieder. Im Geist voll da. Der Körper nach jedem Schub, schwächer. Das ist das fiese an dieser Krankheit. Der Geist stirbt zuletzt. Der Körper wird immer mehr gelähmt. Die ersten Anzeichen waren dieser torkelnde Gang. Dann das Pipi auf dem Boden. Und dann kamen die Hinterbeine. Als Nächstes wäre die Lähmung des Zwerchfell gekommen, die Lunge, der Tod.....

 

Da stand ich da. Konnte nichts mehr für meine kleine Mötzi tun. Sie hat mich gespürt. Angeschaut. Geliebt. So wie ich es tat und immer tun werde.

 

Wir alle haben eine letzte Nacht zusammen verbracht. Ganz nah. Ich liess sie gehen......

 

In 3 Wochen durfte ich dich ins Leben holen.....In 3 Wochen musste ich mich verabschieden.

 

Mötzi, ich vermisse dich so sehr.....

 

 

 

 

Ich träum für dich vum Adrian Stern

Jede Schlag vo mim Herz
Gilt immer no dir
Jede Schritt woni mache
Laht mi klarer gseh
Was mir zäme gha händ
Euse Wäg und euses Glück
das du mir mal eso fehlsch
Hani dänn noni gwüsst

All die schwarze Täg
Und all die stille Gebät
All die halbe Verspräche
Und knallharte Facts
All die falsche Hoffnige
Und all die ussichtslose Kämpf
Du häsch nie ufghört träume, bis zum Änd

Ich cha di nüm berüehre
Glich blibsch bi mir
Verzellsch vo dine Träum
Was du so gern hetsch gseh
Ghör si wider, dini Stimm
Voller Läbe und voller Chraft
Funke sprüehed, expodiered
Es verrisst di fascht

Und so träum ich für dich witer
Träum vo Liebi, gross wie's Meer
Mache all die wilde Sache
Wo's dir nüm hät glangt defür
Und ich gseh dich i de Sterne
Laufe barfuess bis as Meer
Und so träum ich für dich witer
Und ich träge, träg dis Füür i mir

 

 R.I.P meine Mötzi....

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Kommentare: 3
  • #1

    Ruth Lejeune (Dienstag, 29 Oktober 2019 09:41)

    Liebe Tochter das hast du so schön und zutreffend geschrieben. Du hast Sie geliebt für Sie gekämpft oft über deine Grenzen. Mötzeli durfte ein schönes Leben haben sogar Mama durfte Sie werden. Leider hat Sie trotz aller Hoffnungen den Kampf gegen diese Krankheit verloren. Du hast soviel Grösse und Liebe bewiesen und Sie nicht unnötig leiden lassen und Sie bis zum letzten Atemzug geliebt und gehegt. Sie durfte die Welt bei dir ihn Frieden und ruhig verlassen. Grossen Respekt.
    Ich liebte Mötzeli auch sehr und vermisse Sie auch. Ich glaube da wo Sie jetzt ist es ihr gut geht und Sie ihre Freunde um sich hat. R. I. P. Mötzeli ��

  • #2

    Iris (Dienstag, 29 Oktober 2019 20:18)

    Liebes Mötz
    Liebe Sandra

    Die Krankheit ALS hat euch zwei zwar "getrennt" aber die 10 schönen gemeinsamen Jahre verbinden euch beide über den Tod hinaus. Besser als ein Lotto 6er, wenn man als Samtpfote � bei Sandra leben darf ��❤️���. Ganz viel Liebe und Kraft Sandra und wir alle - liebes Mötzi - behalten Dich in unserem Herzen. Machs gut �.

  • #3

    Regula (Montag, 04 November 2019 08:08)


    Deine Lebensgeschichte mit Mötzli geht mir unter die Haut. Eure immense und
    bedingungslose gegenseitige Liebe und die tiefgreiffenden Erfahrungen sind so gut spürbar. Der Schmerz um sie katapultiert dich aber noch mehr in die tiefe des Lebens.
    Mötzli wird dir nicht nur im Blick von Milu Zeichen geben. Sie war und ist eine sehr weise und alte Seele, die weiterhin an deiner Seite gehen wird.....es kann nicht anders sein.